Aktuelles
Eröffnung des Martinsfestes, Predigt
6. November 2016; Wilfried schumacher
Predigt des Stadtdechanten von Bonn, Msgr. Wilfried Schumacher, anlässlich der Eröffnung des Martinsfestes und des zweiten Patronatsfestes des Bonner Münsters am Sonntag, 6. November 2016, im Bonner Münster
Auf Augenhöhe
Hier vor dem Altar steht eine alte Martinsskulptur. Eine Darstellung, wie wir sie gewohnt sind: Martin hoch zu Ross, der seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Am Eingang der Innenstadt von Rottenburg haben wir vor einigen Jahren auf einer Wallfahrtsreise eine Skulptur gesehen [siehe Bild], die auf ungewohnte Weise die Mantelteilung des Heiligen Martin darstellt: Martin ist vom Pferd gestiegen. Er hat dieses Statussymbol hinter sich gelassen. Martin und der Bettler stehen sich gegenüber, sie sind auf Augenhöhe, beide sind entblößt. Man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen, wer von den beiden gibt und wer empfängt.
Wissen wir so genau – wer wir sind? Wir möchten sein wie Martin. Aber wir erleben uns auch als Bettler. Schauen wir etwas genauer hin.
1. Jeden Tag begegnen wir Menschen. Bei den einen fällt es uns leicht, sie zu grüßen oder auf sie zuzugehen und ein paar Worte zu wechseln. Auf manche Menschen freuen wir uns. Anderen gegenüber sind wir kurz angebunden, halten Distanz oder gehen ihnen aus dem Weg. Wir haben vielleicht schlechte Erfahrungen gemacht oder werden beeinflusst von dem, was man so hört.
Martin ging auf Augenhöhe. Er setzte um, wozu Paulus seine Gemeinde in Rom aufgefordert hat: Statt Verachtung zeigt er Achtung, statt Abwendung Zuwendung, statt der kalten Schulter die gebende Hand.
Manchmal sind wir auch wie der Bettler. Wir frieren, fühlen uns schutzlos gegenüber der Kälte, mit der uns jemand begegnet. Wir sind hilflos, wenn uns Menschen verletzen. Wir werden übergangen oder übersehen. Wir halten Ausschau nach jemandem, der uns beisteht. Oft vergebens.
2. Ich weiß nicht, ob es Ihnen ähnlich ergeht wie mir: manchmal möchte ich keine Zeitung lesen und auch bei den Nachrichten im Fernsehen wegschauen. Die Flut der Meldungen über Konflikte, Gewalt, Hunger, Not und Elend zeigt mir meine Ohnmacht. Ich kann die Welt nicht retten. Die Gefahr ist, dass ich, dass wir abstumpfen und uns die Not der anderen nicht mehr berührt,
Martin hat hingesehen und das naheliegende getan. Der Bettler war der Nächste, mit ihm hat er geteilt. Durch die Jahrhunderte hindurch fragt er mich kritisch: Was hat mein Lebensstil mit der Armut der Welt zu tun? Wir sind in globale Unrechtsstrukturen verflochten – wo hinein investieren wir unser Geld? Ist ethische Geldanlage eine Option?
Aber manchmal fühlen wir uns auch auf der Verliererseite. Unsere Armut ist nicht ein leerer Kühlschrank. Es sind die festgefahrenen Strukturen in unserer Gesellschaft und Gemeinschaft. Es sind die Totschlagargumente „Das war schon immer so“ und „da kann man nichts machen“.
Es gibt die verdammte Einsamkeit, manchmal mitten unter Menschen oder Familie. Es ist die diffuse Angst vor dem, was noch auf mich oder auf uns zukommt, die uns frieren lässt. Wo ist der Mantel, der uns wärmt?
3. Das Leben ist leicht, wenn nichts Besonderes passiert. So einfach, dass wir oft vergessen, an Gott zu denken. Wir verschieben es auf morgen. Die Sehnsucht spüren wir schon, aber Gedanken an Gott lassen sich so leicht verdrängen und aufschieben.
Dem heiligen Martin ist Christus begegnet – en Passant, sozusagen im Vorbeigehen, auf dem Weg. Würden wir ihn erkennen, wenn er auch uns begegnet? Was hindert uns, achtsamer dafür zu sein?
„Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast, und sei es auch noch so wenig, aber lebe es!“ Das hat Roger Schutz gesagt, der erste Prior von Taizé. Martin hat für sich begriffen, was der Herr im Evangelium gesagt hat: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Auch im Glauben sitzen wir oft auf einem hohen Ross und meinen, es müsse alles von vorn bis hinten stimmen. 100%ige Christen sollen wir sein. Und weil dies nicht so ist, geben wir schnell auf.
Steigen wir mit Martin hinunter! – Gehen wir auf Augenhöhe mit dem Herrn im Evangelium und wir werden auf Tuchfühlung gehen mit den Menschen. „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast, und sei es auch noch so wenig, aber lebe es!“