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Martinsbräuche
Kulturgeschichtliche Wurzeln und christliche Prägung
Der heilige Martin ist im Unterschied zu anderen Heiligen heute weniger aufgrund seiner religiös-kulturellen Leistungen, sondern aufgrund der Mantelteilung im Bewußtsein. Diese Episode bildet den eigentlichen inhaltlichen Kern des Martinibrauchtums. Um den Martinstag („Martini") hat sich dann über die Jahrhunderte hinweg ein Reigen von Brauchtum gelagert, das weniger mit der Person des Heiligen, als vielmehr mit dem Termin des Gedenktages zu tun hat.
Die ursprüngliche Bedeutung des Heiligen läßt sich zurückführen auf sein Wirken als asketischer Mönchsbischof, der das kirchliche Leben in Gallien förderte und organisierte und große Missionstätigkeit entfaltete. Durch Lebensbeschreibungen wurde seine Popularität gefördert und breitete sich über das gesamte christliche Abendland aus. Die besonders im Rheinland ausgeprägte Verehrung des heiligen Martin gründet auf dem Einfluß der fränkischen Könige, deren Schutzheiliger er wurde.
Der heute im Rheinland bekannteste Brauch des Martinsfestes ist der Martinszug, in dem häufig der Heilige auf einem Pferd mitreitet und die Mantelszene nachgestellt wird. Der Zug endet am Martinsfeuer und löst sich dann auf in „Heischegänge" der Kinder, die durch den Ort ziehen, Martinslieder singen und an den Türen Gaben erbitten.
Die Wurzeln dieses Brauchtums gehen zurück in die mittelalterliche Zeit. Das Fest des heiligen Martin war der Abschluß des Wirtschaftsjahres. Das Gesinde wechselte, in den meisten Gemeinden war Markttag, mit der kalten Jahreszeit beginnen die Schlachtfeste, die Pacht mußte entrichtet werden. (So kommt Martin vielleicht auch zu den Gänsen. Die Gans war eine bevorzugte Zinsgabe an die Grundherren, den Adel und die Klöster.)
Auch galt der Martinstag allgemein als Winteranfang und Beginn des Martinifastens, also des 40-tägigen Fastens vor dem Fest der Epiphanie. Aus all dem haben sich wahrscheinlich die Heischegänge entwickelt: Die ärmeren Bevölkerungsschichten erbitten Nahrungsmittel. Die alten Martinslieder sind also Heischelieder. Sie stammten aus der Vagantenpoesie des Mittelalters und wurden später durch Kinderverse und Heischereime abgelöst. Hier wurden dann wahrscheinlich auch legendäre Züge eingefügt.
Das Martinsfeuer sollte ursprünglich den Feldern Segen bringen und war manchmal in einen Sommer-Winter-Kampf eingeordnet, in dem der Sommer verbrennt. Das Gegenstück dazu bilden sicher die Feuer am Ende des Winters, wie sie heute z.B. in der alemannischen Fastnacht noch üblich sind.
Unabhängig von den kulturgeschichtlichen Wurzeln hat das Martinsbrauchtum in seiner heutigen Form eine eindeutig christliche Prägung. Es geht um den caritativen Inhalt des Festes. Wer mit den Armen teilt, übernimmt eine christliche Grundhaltung, und die Menschenfreundlichkeit und Güte Gottes, dessen Geburt an Weihnachten gefeiert wird, strahlt schon in den Heiligenfesten der Vorbereitungszeit auf.
So wird an der Feier des Martinsfestes auch einiges vom Sinn christlicher Heiligenverehrung paradigmatisch deutlich. Die Heiligen sind wie der hl. Martin aufgrund ihrer gelungenen christlichen Existenz Vorbilder im Glauben. An deren exemplarischen Lebensläufen kann man leicht konkrete Taten des Glaubens ablesen. Allerdings geht es dabei nicht in erster Linie um Nachahmung, sondern vielmehr um die Anregung, über die eigenen Möglichkeiten praktizierten christlichen Lebens nachzudenken. Die Ehrung der Heiligen gilt dabei natürlich auch ihnen selbst, in erster Linie aber Christus, dessen Wirken in den Heiligen ein so vorbildhaftes Leben erst möglich gemacht hat.
Literaturhinweise:
Angenendt, A.: Heilige und Reliquien, München 1994
Art. Martin. In: Wörterbuch der deutschen Volkskunde, Stuttgart 1974
Becker-Huberti, M.: 1600 Jahre Verehrung des heiligen Martin von Tours. Geschichte - Legenden - St. Martin-Lexikon, PEK-Skript v. 24.10.1996 (hrsg. vom Presseamt des Erzbistums Köln, Marzellenstr. 32, 50606 Köln)
Vossen, C.: St. Martin, sein Leben und Fortwirken in Gesinnung, Brauchtum und Kunst, Düsseldorf 1986
(Quelle: St.Martin - Bischof von Tours - Geschichte, Glaube und Brauchtum - HA Bildung Erzbistum Köln 1997)